Unternehmen befinden sich schon immer einen konstanten Wandel. Sei es technologisch oder in der Organisation. Nachdem agile Methoden mittlerweile Einzug in Unternehmen gefunden haben, ist nun das Credo verschiedene agile und klassische Methoden zu synchronisieren und klassische Hierarchien aufzubrechen um die eigene Organisation schneller und flexibler zu gestalten.
Ein Ansatz dazu kann das Spotify Modell sein, welches seit 2014 immer mehr an Bedeutung gewinnt. Doch deutsche Unternehmen zeichnen sich durch spezielle Prozesse und eine lange Tradition aus – ganz im Gegensatz zu Spotify, welche auf der grünen Wiese gestartet haben.
Ist es also möglich einfach das Spotify Modell zu kopieren? Sicherlich nicht! Ich möchte in diesem Artikel meine Erfahrungen bei der Einführung und Anpassung des Spotify Modells für ein fiktives deutsches Unternehmen zeigen und mit meinen Erfahrungen der letzten 2 Jahre aus meiner Berufspraxis mit dem Spotify Modell untermauern. Für allgemeine Informationen zum Spotify Modell können Sie meinen Lesetipp beachten, da ich in diesem Artikel davon ausgehen, dass Ihnen das Modell grob bekannt ist.
Lesetipp: Spotify Modell
Die klassische Hierarchie: Steuerbarkeit und Kontrolle
In den meisten Unternehmen finden wir eine sogenannte klassische Hierarchie, also die Teilung von Arbeit in kleine Einheiten mit Fokus aus Spezialisierung. Dies spiegelt sich oft im Organigramm wieder und ist an Abteilungen und Teams sichtbar.
Beispielsweise kann eine Abteilung Webshop in die Teams SEO, Content-Marketing, Einkauf und Bestellabwicklung unterteilt. An der Spitze sitzt ein Abteilungsleiter, welcher durch ein Jourfix mit dem Vorstand und diversen Management Meetings informationen erhält und diese über die Teamleiter an die Mitarbeiter weitergibt. Informationen und Eskalationen aus dem Tagesgeschäft werden über die Teamleiter an den Abteilungsleiter eskaliert.
Diese Art der Organisation ist sehr stabil, planbar und optimiert auf Steuerbarkeit und Kontrolle. Die Nachteile liegen in der Bewältigung von Komplexität und Geschwindigkeit aufgrund der mangelnden Flexibilität und den Druck von Mitarbeitern nach Selbstorganisation als auch Probleme in der Vereinbarkeit mit agilen Methoden. Die möglichen Konsequenzen sind Unzufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern.
Unzufriedenheit von Kunden durch langsame Prozesse
Eine Konsequenz der Optimierung auf Steuerbarkeit und Kontrolle ist die Struktur der Teams und Abteilungen. Sicher kommen ihnen folgende Szenarien bekannt vor:
- Aufgaben, welche durch Prozesse definiert sind, werden schnell gelöst
- Aufgaben, welche mehrere Teams benötigen oder weder im Bereich des einen noch des anderen Teams liegen, bleiben oft monatelang liegen.
Bei einer konkreten Nachfrage hören Sie Sätze wie: Das ist nicht mein Bereich, dafür bin ich nicht zuständig und dafür gibt es keinen Prozess. Auch die Teamleiter sorgen sich primär um den eigenen Bereich. Dieser wird immer weiter gestärkt, geschützt und ausgebaut. Konsequenz sind starke Silos.
Unzufriedenheit von Mitarbeitern durch mangelnde Perspektive
Hat bei Ihnen schonmal ein Leistungsträger gekündigt? Dies kann Unternehmen schmerzhaft treffen. Eine Studie von LinkedIn hat mehr als 10.000 Arbeitnehmer nach ihren Gründen für einen Jobwechsel befragt. Mehr als 45% gaben mangelnde Perspektive im Unternehmen an.
Karriere in der klassischen Hierarchie ist oftmals schwer. Mitarbeiter müssen warten, dass eine Stelle frei wird und Verantwortung kann oft nur als Team- oder Abteilungsleiter übernommen werden. Als Mitarbeiter erhält man seinen klar abgesteckten Aufgabenbereich.
Ein starkes Machtinstrument sind die Jourfixes und Meetings mit anderen Managern und Vorständen, also Informationen. Die genannten Meetings erscheinen normalen Mitarbeitern wie Wolken, welche für Sie zwar sichtbar aber unerreichbar sind. Wer in diesem Meetings sitzt oder es schafft eingeladen zu werden, darf sich bald zum engen Zirkel der Führung zählen.
Der Chef hat mehr Erfahrung, mehr Information und mehr Macht als seine Mitarbeiter. Die Mitarbeiter sind daher von ihrem Chef abhängiger als umgekehrt der Chef von ihnen.
Dr. Marcus Raitner
Von der klassischen Hierarchie zum Spotify Modell
Ein radikaler Wandel hin Frameworks wie Scrum of Scrums oder LeSS ist oftmals weder sinnvoll noch hilft es Unternehmen wirklich weiter. Ich empfehle deswegen empfohlen Hierarchie langsam und konstruktiv aufzubrechen und die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern zu steigern.
Lesetipp: Agiles Framework aus meiner Doktorarbeit
Eine Möglichkeit eine Organisation fit für den digitalen Wandel zu machen ist es einige Ideen des Spotify Modells zu übernehmen und an das eigene Unternehmen anzupassen. Ich empfehle dazu nach vier Schritten vorzugehen.
Lesetipp: Change Management nach Kotter
Schritt 1: Teilung der Abteilung in Squads und Veränderung der Führung
Im ersten Schritt schauen wir, welche Fokuspunkte die Abteilung hat und teilen die Mitarbeiter in schlagkräftige und crossfunktionale Gruppen (Squads) mit einer Größe von 3-8 ein. Crossfunktional bedeutet, dass ein Squad Aufgaben ohne viele Schnittstellen lösen kann.
Das wichtige ist, dass Sie Ihre Squads schnell und gut schneiden können. Viele Unternehmen tun sich dabei sichtlich schwer. Spotify selbst hat die Teilung nach Funktionen auf der Website vorgenommen. Weitere Möglichkeiten wären Teilungen nach:
- Branchen (z.B. bei Dienstleistern)
- Kunden (z.B. bei IT-Dienstleister)
- Produkte (z.B. bei Produkthaus)
- Funktionen oder Technologie (z.B. bei einem Software-Haus)
- Sparten (z.B. bei Konzernen)
Wichtig ist, dass ein ganzheitlicher Blick entsteht. Wurde vorher die Bestellung eines Kunden im Webshop von 3 Teams bearbeitet, soll dies nun auf ein Team reduziert werden. Vorteil ist ein ganzheitlicher Blick auf den Prozess durch den Squad. Sätze wie: dafür bin ich nicht zuständig oder dafür habe ich keine Berechtigung werden damit der Vergangenheit angehören.
Was machen Sie nun mit den Teamleitern? Führung ist weiterhin wichtig nur sollte diese nicht mehr auf eine Person gebunden sein. Meine Empfehlung ist: bilden Sie einen Squad aus den Führungskräften, welcher globaler Ansprechpartner aller Squads ist und sich um die Führungsaufgaben kümmert.
Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass man als Führungskraft im klassischen Sinne oft alleine ist. Das Magazin Harvard Business Review führte eine Umfrage unter zahlreichen Führungskräften durch. Fast die Hälfte aller CEOs fühlt sich einsam und können dadurch negative Auswirkungen auf ihre Performance ausmachen. Die Konsequenz ist mangelndes Feedback und eine erschwerte Selbstreflektion. Die Tatsache, dass Sie die Führungskräfte zu einem eigenen Team zusammenführen, fördert also auch deren Performance.
Auch für den Abteilungsleiter ändert sich etwas. Er behält den Blick von außen und agiert als Coach sowie Organisationsentwickler. Aufgrund der Tatsache, dass der Führungssquad alle operativen Aufgaben der Führung übernehmen kann, ist die Zeit dafür da.
Zusammenfassend teilen Sie die Abteilung in schlagkräftige Einheiten mit dem Blick fürs ganze und minimieren Schnittstellen für einen ganzheitlichen Blick auf den Prozess. Führung wird ebenfalls durch eine schlagkräftige Einheit abgebildet. Vorteile liegen in der gleichmäßigen Verteilung der Führungskräfte. So können eher rationale Führungskräfte bei Kundeneskalationen und emotionale Führungskräfte bei Konflikten helfen. Der Führungssquad ist bei optimaler Besetzung im Grunde (theoretisch) die perfekte Führungskraft.
Mein Learning: Führung ist kein Privileg sondern eine Dienstleistung und harte Arbeit!
Schritt 2: Schaffung von Querschnittsrollen und Ernennung der Squadleads
Nun gilt es die einzelnen Squads zu organisieren und miteinander zu verbinden. Als erstes ernennt jeder Squad einen Squadlead, welcher den Squad nach außen vertritt. Auch die Teamleiter ernennen einen Squadlead des Führungssquads. Sie haben nun folgenden Organisation.
Sie sehen in der Abbildung auch Chapter, welche Grün markiert sind. Um auch fachlich den Austausch zu fördern bilden wir im Querschnitt Chapter, also Fachgruppen, welche sich mit einem Thema beschäftigen. Im Gegensatz zu klassischen Querschnittsrollen (zahnlose Tiger), bilden die Chapter ein hohes Gremium für Ihren Zweck und überwachen beispielsweise Verwendung einer Technologie und die Einhaltung einheitlicher Standards z.B. für Datenbanken oder Softwarecode. Ein Chapter kann bei starker Teilung nach Funktionen auch ein Prozess (Bestellprozess) oder bei Kunden eine Technologie (Java) sein.
Die Chapter stellen übrigens ein wenig die horizontale Fachkarriere da und die Squads die vertikale Führungskarriere. Durch Sqaudwechsel und die neuen Rollen bieten Sie Mitarbeitern eine dauerhafte Perspektive und die Möglichkeit einen eigenen Job zu kreieren (Jobcrafting).
Spotify schlägt auch noch Gilden vor, allerdings habe ich dafür nie einen sinnvollen Anwendungsfall gefunden bzw. bin in meinem Berufsleben aktuell mit Squads und Chapter vollkommen zufrieden. Gilden sind in der Regel da um sich gegenseitig weiterzubilden und Wissen auszutauschen. Oft sind das die internen Usergroups. Sie haben aber in der Entscheidungsfindung keinen Einfluss.
Mein Learning: Die Aufgabe von Führung ist es nicht länger Urlaube zu genehmigen und Team zu verwalten, sondern eher wie ein Gärtner zu, welcher ein Gewächshaus pflegt.
Schritt 3: Meetings und Informationsfluss anpassen
Was wäre die Wissensarbeit ohne Daten und Informationen? Nicht viel! Deswegen braucht die neue Organisation auch neue Informationskanäle. Ich habe mir eine sehr lange Zeit umfangreiche Gedanken über Anzahl und Art der Meetings gemacht, da Meetings teuer sind und Mitarbeiter langweilen können. Meine Ideen finden sie in der Folgenden Abbildung.
Das Jourfix mit dem Vorstand empfehle ich auf den Squad auszuweiten, welcher die Führung übernimmt. Der Tribe Lead moderiert die Themen und zeigt den Vorstand: meine Abteilung besteht nicht nur einem Helden sondern auf vielen tollen und motivierten Mitarbeitern.
Das klassische Management Meeting mit andere Abteilungen habe ich aktuell noch nicht angepasst, da die Akzeptanz im gesamtem Unternehmen erst vorhanden sein muss.
Weiterhin hat sich gezeigt, dass ein Meeting aller Squadleads und aller Chapterleads einmal pro Monat sinnvoll ist sowie ein Treffen zwischen Tribe Lead und den Führungssquad einmal pro Woche.
Ich halte die gezeigten Formate für sinnvoll, da Informationen nun horizontal verteilt werden und nicht mehr einzelne Personen über eine zu starke Informationshoheit verfügen und sich jeder in die Abteilung einbringen kann.
Mein Learning: Die Führung in einem solchen System ist nun ähnlich wie die Beziehung zwischen Dirigent und Musiker in einem Orchester.
Schritt 4: Controlling anpassen und Steuerbarkeit erhalten
Natürlich muss eine Organisation auch durch gewisse Instrumente visualisiert werden. Diesen Schritt bin ich 1 Jahr nach dem Start des Change angegangen. Ich habe dazu zwei Controlling-Instrumente umgesetzt.
Hard Controlling: betriebswirtschaftliche Kennzahlen
Ich komme aus der IT-Dienstleistungsbranche. Wir arbeiten auf Stunden- oder Festpreisbasis für zahlreiche Kunden und stelle eine Rechnung. Falls Sie nur interne Kunden haben, dann ignorieren Sie einfach den Teil mit der Zeitbuchung.
Zur Visualisierung der Arbeit hat jeder Squad ein eigenes Board. Wie der Squad das Board anordnet ist individuell. Wichtig ist nur, dass klar ersichtlich ist:
- Was wollt ihr diese Woche schaffen?
- An was arbeitet ihr gerade?
- Was habt ihr fertig?
Zur Umsetzung gibt es zahlreiche kostenlose wie Redmine aber auch kostenpflichtige Software wie Jira. Jede Aufgabe hat einen Bearbeiter sowie einen Kunden/Projekt zuordnet. So können Aufwände pro Kunde, Squad und Projekt eingesehen werden. Ich habe mir darauf ein Individuelles Dashboard erstellt.
Wichtig ist, dass Sie den Squadleads beibringen wie die Software genutzt wird und korrekt nach Scrum oder Kanban gearbeitet wird. NUr wenn alle Felder korrekt ausgefüllt sind, sind wir dem Vorstand und Kunden gegenüber aussagekräftig. Ich habe dazu eine interne Schulung sowie individuelles Coaching durchgeführt und ein Chapter gegründet.
Da wir als Dienstleister immer einen Nachweis der Arbeit brauchen und eine Rechnung an die Kunden stellen müssen, fügt jeder Mitarbeiter nach Abschluss eines Tasks die entsprechende Zeit in ein Tool ein. Neben der Nummer des Tasks gibt er zusätzlich noch die Stunden an. Es interessiert in diesem Fall nicht, wie lange der Mitarbeiter insgesamt arbeitet sondern nur:
- Wieviele Stunden haben für den Kunden wert geschaffen?
- was haben wir für den Kunden?
Mein Learning: Mithilfe des harten Controlling kann eine orts- und zeitflexible sowie autonome Arbeit der Squads gewährleistet werden.
Soft Controlling
Schon Peter Drucker sagte: „culture eats strategy for breakfast“ und es gilt vor allem in diesem Modell die Kultur zu überwachen. Meine Erfahrung ist, dass die Organisation unglaublich flexibel und schnell aber auch sehr sensibel ist.
Als erstes habe mit jedem Squad einen Workshop durchgeführt und Werte, Vision und Leitlinien festgehalten. So fällt es den Squads weiter sich selbst zu führen.
Lesetipp: Teamworkshop Slides
Um im Anschluss die weichen Faktoren zu messen gibt es den Spotify Squad Healthcheck. Sie checken anhand verschiedenster Kriterien die Zufriedenheit der einzelnen Squads alle 14 Tage. Die Squadleads übermitteln Ihnen durch Ampelfarben die jeweiligen Stimmung im Squad. Im folgenden finden Sie meine Ampelkarten.
Tipp: Laden Sie sich die Vorlage gerne hier und passen Sie diese an!
Die einzelnen Ergebnisse sind für die Squadleads sehr nützlich. Es liegt nun am Tribe Lead alle Ergebnisse in eine einheitliche Tabelle zu packen. Das sieht dann wie in der folgenden Abbildung aus.
In den Spalten können Sie die Hauptunterschiede zwischen den verschiedenen Squads erkennen. Squad 2 ist mit so ziemlich allem zufrieden. Squad 3 hat viele Probleme, jedoch gibt es einen positiven Trend bei fast allen Punkten.
In den Reihen können wir systemische Muster erkennen. Jedes Squad hat Spaß bei der Arbeit (und der Trend geht sogar noch weiter nach oben!). Motivation scheint demnach kein Problem zu sein. Allerdings machen die Prozesse Probleme. Mit der Zeit wird das sicherlich auch den Spaßfaktor bei der Arbeit beeinträchtigen.
Im Gesamtbild kann man sehen, dass viele Pfeile nach oben zeigen. Das bedeutet, dass der Verbesserungsprozess (der wichtigste Prozess überhaupt) funktioniert.
Mein Learning: Diese Art der Organisation kann nur auf Werten und Vertrauen funktionieren. Diese gilt es regelmässig zu messen!
Fazit
Das Spotify Modell ist ein toller Impulsgeber für eine agile Organisation. Natürlich hat jedes Unternehmen besondere Rahmenbedinungen, welche es nicht erlauben das Modell einfach zu kopieren. Allerdings ist es sinnvoll einige Grundideen daraus zu nehmen und auf die eigene Organisation anzupassen. Besonders gut finde ich die Aufteilung von Führung zu einem zentralen Squad und die neue Transparenz der Informationen. Ich hoffe, dass Ihnen die Impulse meines Artikels in Ihrer täglichen Arbeit helfen können. Ich kann aus eigener Erfahrung, dass ein solcher Change in 1 Jahr zu meistern ist und die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden deutlich steigern kann.
Lesetipp: Agilität in Dienstleistungsunternehmen
Lesetipp: Agilität in Produkthäusern
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