Da muss ich doch eingreifen! Am Ende rollt schließlich mein Kopf… Wenn ich mich einmische, wird mir fehlendes Vertrauen und Micromanagement vorgeworfen. Aber soll ich sehenden Auges nichts tun? Andererseits untergrabe ich dann nicht die Selbstorganisation des Teams? Ist das denn wirklich so wichtig? Es heißt, ich soll Rahmen setzen. Aber was ist damit überhaupt gemeint?

Führungskräfte im agilen Umfeld sind verunsichert: Was kann, darf, soll und muss ich selbst entscheiden? Wann halte ich mich besser raus? Auch Mitarbeiter und laterale Führungsrollen stehen regelmäßig vor Herausforderungen aufgrund dieser Unklarheit: Was entscheide ich selbst? Wo sollte ich eine Entscheidung einfordern?

Eins vorab: Sich als Führungskraft einfach überall rauszuhalten, ist nicht die Lösung. Dann haben wir Selbstüberlassung statt Selbstorganisation. Eine klare Antwort darauf, was eine Führungskraft entscheiden sollte und was nicht, gibt es auch nicht. Jede Organisation tickt anders und muss seine eigenen, für sich passenden Entscheidungsstrukturen finden. 

Zwei Ideen sollen hier dennoch als Kompass dienen. 

1. Führungskräfte sollten entscheiden, wie entschieden wird. Mit Blick in die Politik wird dieser Gedanke klarer. Stellen wir uns mal vor, es gäbe keinen Rahmen für politische Entscheidungen im Umgang mit Corona: Jeder Staatsbürger hat das gleiche Mitspracherecht. Wir haben uns noch nicht einmal darauf geeinigt, dass wir bei Uneinigkeit abstimmen. Wie handlungsfähig wären wir wohl als Staat? Auch in Unternehmen benötigen wir Rahmen über Entscheidungsprozesse (Was wird wie entschieden? Konsens? Abstimmung? Einzelentscheid? Wer ist beteiligt? … ). Ansonsten versinken wir in Machtkämpfen oder im zähen Konsensbrei. Beides führt zur Lähmung der Organisation. Dabei müssen Führungskräfte keineswegs alle wichtigen Entscheidungen selber treffen. Sie müssen dafür sorgen, dass tragfähige Entscheidungen getroffen werden – wie und von wem auch immer. Kleine Teams schaffen es häufig noch selbst, passende Entscheidungsstrukturen auszubilden. Teamübergreifend wird es häufig schon schwieriger. Meine Empfehlung lautet also: Halte Ausschau nach Entscheidungsvakua. Wo hakt es? Wo führen Pattsituationen zum Stillstand? Wo führt die Suche nach einem Konsens zu einer Verewigung des Status Quos? Genau hier gilt es dann, zu entscheiden, wie entschieden wird. 

2. Führungskräfte sollten dort entscheiden, wo Organisationsinteressen von Mitarbeiter- oder Teaminteressen abweichen. Gott sei Dank passen Organisationsinteressen häufig mit den Interessen von Belegschaft und Teams zusammen. Häufig, aber bei weitem nicht immer. Manchmal ist es für eine Organisation beispielsweise sinnvoll, einen Mitarbeiter aus seinem Team zu ziehen und in ein anderes Projekt zu versetzen. Solche Entscheidungen im Konsens hervorzubringen, wird schwierig. Große Umstrukturierungen, die mit neuen Kollegen, neuen Aufgaben und Verantwortlichkeiten einhergehen, werden ohne die Durchsetzungsmacht der Hierarchie ebenfalls kaum zu Stande kommen. Manch teamübergreifendes Softwareentwicklungsprojekt könnte die Organisation einen großen Schritt voranbringen. Für selbstorganisierte Teams ginge das aber mit vielen unattraktiven Abhängigkeiten einher. Wo sie vorher innerhalb ihrer Domäne selbstständig entscheiden konnten, wären sie jetzt nur ein kleines Rädchen im großen Ganzen und müssten sich ständig mit den anderen Teams absprechen. 

Ich will auf gar keinen Fall sagen, dass Führungskräfte die Interessen von Mitarbeitern und Teams nicht berücksichtigen sollen. Ich will sagen, dass bestimmte Entscheidungen ohne ermächtigte Führungskräfte kaum (ich verzichte bewusst auf das Wort unmöglich) zustande kommen. Führungskräfte sollten dieses Spannungsfeld verschiedener Interessen mitreflektieren und dann gezielt entscheiden, wann sie welchen Interessen wieviel Gewicht beimessen.  

Soweit ein kleiner Ausblick in das komplexe Thema der Entscheidungen im agilen Umfeld. Mehr dazu gibt es in meinem Buch: Entschieden!, ein Buch von Michel Eggebrecht – Campus Verlag

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/anzug-gesch%C3%A4ftsmann-gesch%C3%A4ft-mann-673697/

Autor

Michel Eggebrecht ist Wirtschaftspsychologe, agiler Coach und systemischer Organisationsberater. Als disziplinarische Führungskraft war er für mehrere Softwareentwicklungsteams verantwortlich. Führung bedeutet für ihn nicht, alle wichtigen Entscheidungen selbst zu treffen, sondern über die gezielte Gestaltung von Entscheidungsprozessen sicherzustellen, dass wichtige Entscheidungen sinnvoll getroffen werden. An einer Hamburger Hochschule gibt er sein Wissen an Student*innen weiter.

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