Im Laufe meiner Promotion habe ich zwar nur anfangs nur wenige Experteninterviews gemacht, allerdings habe ich zahlreiche Bachelor- und Masterarbeiten betreut, welche sich dieser Methode bedient haben. Ich habe sogar das Gefühl, dass die typische Bachelorarbeit bei mir aus Literaturanalyse und Experteninterviews bestand. Im folgenden Text möchte ich deswegen einige Tipps geben. Aufgrund der Vereinfachung und SEO spreche ich von Experten und Experteninterview. Gemeint sind aber auch Expertinnen und diverse Experten.

Vorteile Experteninterview

Der Zweck des Interviews ist es, einen ausgewählten Experten zu Hypothesen zu befragen. Es dient also nicht dazu einen Überblick über ein Thema zu bekommen, sondern konkrete Punkte der Literaturanalyse zu bewerten. Es ist also explorativ, denn man weiß nie, was für Erkenntnisse gewonnen werden. Das Experteninterview hat deswegen seine Stärke, im Gegensatz zur Befragung, in unstrukturierten und offenen Fragestellungen. Zur Gruppendiskussion grenzt es sich dadurch ab, dass es ein Dialog aus zwei Personen ist.

Abgrenzung zum Journalistischen Interview

Ein Experteninterview bedeutet: Jemand zu seinem Wissen zu befragen. Im Gegensatz zum journalistischen Interview hat der Befrager deswegen sachliches und weniger öffentliches Interesse. Die Vorgehensweise ist konstruktiv. Man möchte neutral das Wissen des Experten abfragen und ihm keine „Aussagen in den Mund legen“. Es geht also um fachliche Aussagen und eine neutrale Betrachtung. Befragen Sie auch wirkliche Experten und keine Provokateure wie z.B. manche Buchautoren. Es macht also wenig Sinn bei einer Bachelorarbeit über HR den Buchautor zu: „Warum HR am Ende ist zu befragen“. Er ist sicherlich wenig neutral und möchte provozieren.

Lesetipp: Buch zu Experteninterview 

Unterschiedliche Arten der Experteninterviews

Es gibt mehrere Interviewformen, welche ich kurz vorstellen will:

  • Strukturiertes Interview
  • Unstrukturiertes Interview
  • Semistrukturiertes Interview
  • Narratives Interview
  • Problemzentriertes Interview

Ein strukturiertes Interview ist wie ein Fragebogen mit festen Antworten z.B. ja/nein oder auch Angaben z.B. Umsatz: 1-3Mio. ,3-5 Mio,…. – Es verlangt, dass Fragen sehr präzise gestellt werden. Der Fragebogen zielt darauf ab, möglichst vielen Personen identische Fragen zu stellen, um die Ergebnisse zu vergleichen.

Das Gegenteil ist das unstrukturierte Interview. Hier empfiehlt es sich eher 3-5 Experten zu befragen. Die Fragen sind sehr offen z.B. Was fällt Ihnen zu Agilität ein? Wie finden Sie den Trend der Digitalisierung?. Sie können hier auch gezielt bei Themen in die Tiefe gehen. Ein solches Interview setzt eine schnelle Auffassungsgabe voraus und Erfahrung von Ihnen und empfiehlt sich wenn wenig über das Thema bekannt ist.

Wenn Sie das Beste aus beiden Welten verbinden wollen lohnt es sich ein semistrukturiertes Interview. Sie legen einige der Fragen vorher fest und stellen anschließend noch 3-5 offene Fragen. Generell ist das semistrukturierten Interview die häufigste Form und sehr flexibel. Ich empfehle bei der Bachelorarbeit 4-5 geschlossene und 3-4 offene Fragen. Man sagt auch gerne Leitfadeninterview aber dies stellt eine Unterform des semistrukturierten Interview dar. Hier liegt der Fokus auf halbwegs ausformulierte Fragen und häufigen Abweichungen vom Fragebogen.

Eine weitere Sonderform ist das narrative Interview. Das narrative Interview ist wie eine Erzählung und konzentriert sich auf die Geschichte einer Person und die subjektiven Erfahrungen. Es hilft vor allem bei Fallstudien und Beobachtungen sowie bei hohen Praxisanteil (Beteiligung am Geschehen durch Erzählung). Es ist allerdings stark subjektiv. Beispiel ist eine Erzählung über das erste agile Projekt.

Das problemzentrierte Interview dient dazu Erfahrungen und subjektive Wahrnehmungen eines Experten zu erfassen. Sie legen sich auf eine Problemstellung fest und der Experte erzählt recht frei seine Erfahrung zum Thema. Es ist deutlich strukturierter als das narrative Interview, da ein konkretes Problem in den Fokus gerückt wird z.B. die Erfahrung mit Niederlagen in Projekten.  Es geht also nicht um die Projektgeschichte sondern nur um den Teil der Niederlage.

Es ist wichtig, dass Sie kurz auf die Interviewform eingehen und auch in der Abschlussarbeit eine kurze Begründung geben. In jedem Absatz habe ich einige Vorteile genannt, welche Sie als Begründung nehmen können.

Auswahl und Auffinden der Experten

Ich empfehle immer mindestens 3 und am besten 5 Experten zu befragen. Es muss in der Arbeit genau begründet werden, warum Sie genau diese Leute ausgewählt haben. Es reicht nicht zu sagen, dass Sie diese kennen oder diese zufällig an der Bushaltestelle rumgestanden haben.

Ihre Experten sollten deswegen genau definiert werden. Je nach Forschungsfrage muss begründet werden ob dieser lange Berufs- oder Führungserfahrung benötigt oder ob er ein Berufsanfänger sein muss. Beispiel wäre bei der Befragung zum Bewerbungsprozess kann es Sinn machen Berufsanfänger zu befragen. Oder in einer Befragung zur Arbeitsplatzaustattung hat die Berufserfahrung keine Relevanz. Es gilt deswegen u.a. folgende Dimensionen abzuchecken:

  • Gewisses Alter oder Generation?
  • Gewisse Berufserfahrung nötig?
  • Führungskraft oder Mitarbeiter?
  • Mittelstand, KMU oder Konzern?
  • Branche wichtig oder nicht?
  • Gewisse Kompetenz nötig (z.B Scrum)

Die Experten lassen sich gut über Xing finden. Mithilfe der Premiumsuche kann nach „ich biete“ gesucht werden und die Experten können angeschrieben werden. Auch über Gruppen lässt sich der ein oder andere Experte finden. Mit LinkedIn klappt das übrigens auch. Weiterhin kann im privaten Umfeld (Eltern, Freunde,…) gefragt werden. Sinnvoll ist es auch die Autoren von Fachartikeln, welche Sie in der Literaturanalyse finden, einfach anzuschreiben und nach einem Interview zu fragen.

Tipp: Schreiben Sie in der Mail höflich: warum Sie den Experten ausgewählt haben, wie lange es dauert, um was es geht und drei Terminvorschläge.

Update: Da Xing mittlerweile langsam nicht mehr so stark genutzt wird (meine Meinung) empfehle ich das gleiche Vorgehen in LinkedIN.

Ich empfehle ungern meine Kontakte für Interviews. Einerseits weil ich sehr viele Anfragen erhalten und ich nicht sinnvoll unterscheiden kann: Wen helfe ich und wen nicht. Andererseits will ich, dass Sie lernen wie Sie ein Netzwerk aufbauen und Experten*innen für ein Vorhaben finden. Sie werden das im Berufsleben noch ein paar mal brauchen. 

Inhalt des Experteninterviews

Den genauen Inhalt der Fragen richtet sich natürlich nach Ihrer Forschungsfrage. Jedoch sollten Sie die Art der Fragestellung genau konzipieren. Dabei haben Sie in der Regel Hypothesen aufgestellt, welche Sie überprüfen wollen. In einer quantitativen Befragung versuchen Sie dabei diese Thesen durch konkrete Zahlen belegen. Im qualitativen Experteninterview wollen Sie allerdings die Thesen besser verstehen. Beispiele für Thesen sind:

  • Ab einer Teamgröße von 12 Personen ist die Methode Kanban besser als Scrum geeignet.
  • In KMU ist wegen der geringen Prozesslandschaft Kanban effizienter als Scrum.

Dabei leiten Sie pro Hypothese eine Frage ab. Sie wollen dabei wissen: Stimmen Sie dieser These zu und warum? Auch können Sie die Thesen durch offene Frage untermauern und so Hintergrundinformationen zu den Thesen liefern z.B. „Wie ist Ihre Meinung zu Kanban?“ In einer Abschlussarbeit reichen in der Regel 5-10 Fragen.

Lesetipp: Thesen aufstellen

Durchführung des Experteninterview

Die Durchführung findet am besten persönlich, ansonsten über Telefon oder Skype, statt. Sie müssen sich einen Fragebogen zurechtlegen mit 5 – 15 Fragen. Diesen gehen Sie nach und nach durch und machen sich Notizen oder besser nehmen das Interview auf. Es kann Sinn machen dafür eine Datenschutzvereinbarung aufzusetzen. Vergessen Sie nicht, sich vor dem Interview kurz vorzustellen. Sie können selbst aussuchen ob Sie den Fragebogen vorher versenden oder nicht. Oft sind Spontanantworten besser bzw. die meisten Experten sind sehr beschäftigt und schauen sich diesen sowieso nicht an.

Tipp: Vergessen Sie nicht Ihre Methodik sauber zu limitieren.

Wieviele Leute sollte ich befragen?

Dies ist eine gute Frage und es gilt generell: Umso mehr Sie befragen, desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse. Mein Tipp ist, dass Sie sich nach jedem Interview fragen: Wie signifikant haben sich die Ergebnisse seit den letzten Interview verändert. Erzählt Ihnen beispielsweise der 5. Teilnehmer, dass agile Methoden in der IT super für die Digitalisierung sind, dann können Sie eigentlich langsam aufhören noch mehr Experten diese Frage zu stellen.

Fügen Sie dazu Ihrer Arbeit folgenden Satz hinzu: Es wurden 5 Teilnehmer befragt. Nach Wilde und Hess (2006) ist das Sättigungskriterium einer Forschungsmethode dann erreicht, wenn nach einer gewissen Menge an Teilnehmer nach einer Iteration keine signifikant neuen Erkenntnisse gewonnen worden sind. Nach Auswertung der Interviewergebnisse konnten keine signifikant neuen Erkenntnisse in den letzten 2 Iterationen erkannt werden.

Insgesamt kann ich aber als Richtwert sagen, dass in meinen Bachelorarbeiten oft 5-10 Leute interviewt worden sind.

Auswertung des Expertentinerview

Im ersten Schritt müssen Sie das Interview abtippen und und die Sprache glatt ziehen. Sie können den Inhalt auch in Stichpunkten oder kürzeren Sätzen wiedergeben. Das entscheidet aber in der Regel ihr Betreuer. Sonst kommen die Protokolle in den Anhang und sind ähnlich zu den Interviews, welche Sie in Zeitungen finden.

In der Auswertungen zeigen Sie zuerst Frage 1 auf z.B. welche Ausstattung wünschen Sie sich am Arbeitsplatz. Dann stellen Sie die Antworten dar: Beispiel: Experte a und b sind sich einig, dass Sie ein Smartphones wollen. Experte C hingehen möchte ein Tablet. So gehen Sie systematisch die Fragen durch.

Lesetipp: Buch zu Qualitative Inhaltsanalyse

Datenschutz und Einwilligung

Wenn Sie die Experten interviewen teile diese sensible Informationen. Es ist wichtig, dass Sie hinweisen, welche Daten Sie verwenden. Sie können auch eine Datenschutzerklärung unterschreiben.  Vorlagen finden Sie zahlreich bei Google. Teilen Sie auch mit ob das Interview anonym ist oder nicht. Auch Interviewprotokolle oder Transkripte sollten vorher freigegeben werden.

Fazit: Tipps zum Experteninterview

Die Methode war für viele Forschungen sehr gut geeignet und fokussiert sich auf Befragungen zu aktuellem Wissen. Die Vorbereitung und Auswertung nimmt eine hohe Zeit in Anspruch, weswegen die Interviews ordentlich vorbereitet und geplant werden müssen. Meine Tipps sollten eine erste Orientierung zur Methodik geben. Schauen Sie auf jeden Fall auch in meine weiteren Buchtipps!

Gibt es noch Fragen?

Falls es noch Fragen gibt, habe ich zwei Tipps. Ich habe meine Erfahrung aus 5 Jahren in der Betreuung von Abschlussarbeiten im Buch: "Empfehlungen für die Bachelor- und Masterarbeit" zusammengefasst. Dieses gibt es bei Springer und Amazon seit August 2020. Das Buch ist ein offizielles Fachbuch und kann damit zitiert werden. Weiterhin können Sie mich gerne mal anrufen. Hierzu einfach im Buchungssystem nach einen freien Termin schauen. Ich nehme mir jeden Monat einige Stunden Zeit um Studenten zu helfen.

Tipp: Ich vergebe auch über den Blog eine gratis Zertifizierung zum Digital & Agile Practioner!

Ansonsten vernetzen Sie sich gerne mit mir auf Xing, LinkedIn oder dem wissenschaftlichen Netzwerk Researchgate.

Genderhinweis: Seit Anfang 2022 achte ich darauf, dass ich immer genderneutrale Formulierungen verwende. Ich habe zur leichteren Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Sofern keine explizite Unterscheidung getroffen wird, sind daher stets sowohl Frauen, Diverse als auch Männer sowie Menschen jeder Herkunft und Nation gemeint. Lesen Sie mehr dazu.

Rechtschreibung: Ich führe diesem Blog neben dem Job und schreibe viele Artikel in Bahn/Flugzeug oder nach Feierabend. Ich möchte meine Gedanken und Ansätze als Empfehlungen gerne teilen. Es befinden sich oftmals Tippfehler in den Artikeln und ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht alle korrigieren kann. Aber Sie können mir helfen: Sollten Sie Fehler finden, schreiben Sie mich gerne an! Lesen Sie mehr dazu.

Verwendete Quellen anzeigen
Autor

Ich blogge über den Einfluss der Digitalisierung auf unsere Arbeitswelt. Hierzu gebe ich Inhalte aus der Wissenschaft praxisnah wieder und zeige hilfreiche Tipps aus meinen Berufsalltag. Ich bin selbst Führungskraft in einem KMU und Ich habe berufsgeleitend an der Universität Erlangen-Nürnberg am Lehrstuhl für IT-Management meine Doktorarbeit geschrieben.

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