Ich werde in letzter Zeit oft nach Strategien zum Wandel im Unternehmen gefragt und wie Agilität in 100% der Bereiche des Unternehmens getragen werden kann. Meine erste Antwort ist natürlich: 100% agil wird es wohl nicht geben und eine spezielle Change-Strategie braucht Agilität eigentlich auch nicht. Agilität kann dabei genau wie die Einführung eines Produkts gesehen werden oder klassisch nach der Change Strategie von Kotter eingeführt werden.
Ursprung hat jedes Modell in den Überlegungen von Kurt Lewin, welcher 1943 einen Veränderung in drei Phasen eingeordnet hat. Grundlegend wirken dabei in Organisationen zwei Kräfte:
- eigenes Sicherheitsstreben und Gewohnheit, die den Erhalt des Status Quo fordern
- neue Technologien, Führungskräfte neue Wettbewerber, welche Veränderungen fordern
Kurt Lewin stellte dann 1947 fest, dass eine Veränderung erst stattfindet, sobald die Kraft der Notwendigkeit der Veränderung stärker ist als die der Gewohnheit. Anschließend hat Richard K. Streich festgestellt, dass es sieben Phasen gibt, die Mitarbeiter durchlaufen, wenn sie von einem Change erfahren:
Phase 1: Schock
Die Notwendigkeit einer Veränderung erzeugt einen Schock durch Angst vor einer neuen Situation. Dies führt zu einer Unfähigkeit die Veränderung rational zu reflektieren. Meine Empfehlung in dieser Zeit: kommunizieren Sie die Veränderung und lassen Sie die Mitarbeiter dann 1-2 Wochen in Ruhe den Schock verdauen. Sie verkünden lediglich, dass neue Veränderungen eingeführt werden.
Phase 2: Ablehnung
Nach dem Schock folgt eine starke Ablehnung. Sie bemerken diese Phase daran, dass Mitarbeiter anfangen über die Veränderung negativ zu reden. In dieser Phase sollten Sie als Führungskraft den Mitarbeitern helfen zu verstehen, warum die Änderung vorgenommen wird und damit Phase 3 vorbereiten. Erläutern Sie die Treiber der Veränderung. Sehen Sie sich als Anwalt der Veränderung.
Phase 3: Rationale Einsicht
Nachdem erkannt wird, dass Ablehnung gegen eine Veränderung nicht hilft, starten Mitarbeiter sich mit der Veränderung rational zu beschäftigen. Sie starten Vorteile abzuwägen, erste Informationen zur Veränderung aufzunehmen und wünschen sich erste kurzfristige Schritte zu deren Umsetzung. Kommunizieren Sie in dieser Phase erste Informationen zur Umsetzung der Veränderung jedoch nicht den gesamten Plan.
Der Unterschied zwischen rationaler und emotionaler Einsicht kann sehr gut am Beispiel eins Fitnessstudios veranschaulicht werden. Ich sehe ein, dass ich zu dick bin aufgrund von Daten wie das Körpergewicht (rationale Einsicht) aber ich gehe nichts in Fitnessstudio, weil ich es nicht will (emotionale Einsicht).
Phase 4: Emotionale Einsicht
Die emotionale Einsicht ist der eigentliche Wendepunkt und es heißt für Sie als Führungskraft dran zu bleiben. Mitarbeiter beginnen mit der Veränderung vertraut zu werden und zeigen sich offen. Wichtig sind in dieser Phase konkrete Projektpläne und erste Testzugriffe auf mögliche Softwaretools zu gewähren.
Phase 5: Lernen
Die Mitarbeiter haben die Veränderung akzeptiert und starten die neuen Softwaretools und virtuelle Arbeitsmethoden zu erproben. Geben Sie erste Schulungen zu Software und Methoden sowie erste schriftliche Guidelines für die Mitarbeiter frei. Lassen Sie auch erste Teams mit den neuen Prozessen oder Softwaretools arbeiten.
Phase 6: Erkenntnis
Haben die Mitarbeiter in Phase 5 schnelle Erfolge mit den Software-Tools erzielt, werden diese sehr schnell die Veränderungen schrittweise in ihren Alltag übernehmen wollen. Stellen Sie einen netten Administrator zur Hilfestellung mit der Softwarenutzung zur Verfügung und bitten Sie um Feedback zu neuen Prozessen durch einen Prozessmanager.
Phase 7: Integration
Nun werden die neuen Software-Tools und Arbeitsweise als selbstverständlich angesehen. Ihr Aufgabe als Führungskraft ist es nun wie eine Art „Oberlehrer“ zu überwachen ob die neuen Arbeitsweisen auch nach 2-3 Wochen noch eingehalten werden und Rückfälle in alte Verhaltensweisen vermieden werden.
Modell von Rogers
Jeder Mitarbeiter durchläuft diese Phasen. Einige davon schneller (sogar in Bruchteil einer Sekunde) und andere in vielen Jahren oder nie. Nun ist meine Idee in agilen Transitionen immer: ich starte mit Mitarbeitern, welche diese Phasen (zumindest bis Phase 4) schon durchlaufen haben. Doch wie kann man das erkennen?
Ich nehme dazu gerne das Modell von Rogers (1992). „Die Diffusionstheorie des Kommunikationswissenschaftlers Everett Rogers erklärt die Entwicklung von Innovationen und besonders deren Verbreitung auf dem Markt. Eine Diffusion kommt zustande, da Innovationen wie neue Dienstleistungen oder Produkte meist zeitlich verzögert übernommen werden.“ (Quelle: onlinemarketing.de). Ich möchte diese Theorie nun auf meinen letzten agilen Change anwenden. Eine Einführung nach dem Modell von Kotter finden Sie im Artikel zu Organisationsrebellen.
Weiterer Lesetipp: Agiler Wandel nach Kotters Change-Model
Phase 0: Management
Für mich ist das „Go“ (Ja wir wollen agil werden) vom Top Management dabei die wichtigste Grundvoraussetzung und ich gehe davon aus, dass Sie dieses bereits haben. Falls nicht, wird es schwer bis unmöglich anzufangen.
Falls sie dieses go noch nicht haben dann sollten Sie durch Präsentationen, Workshops und vielem mehr den Management die Notwendigkeit, Change-Plan und Chancen der Agilität aufzeigen. Dies kann ein sehr langer und zäher Prozess sein und erfordert langen Atem.
Phase 1: Innovatoren
In der ersten Phase empfiehlt es sich erste agile Pilotteams zu gründen. Dabei ist kaum ein Change notwendig. Der Tipp ist dabei: Fragen Sie einfach mal: Wer hat Lust auf agile Arbeit und möchte in den ersten Pilotteams sein? Sie werden laut der Theorie 2,5% Ihrer Mitarbeiter ohne Change-Aufwand gewinnen können. Nun gilt es die Einhaltung der agilen Methoden zu überwachen.
Ihr Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt zu 2,5% agil.
Phase 2: Frühzeitige Anwender
Nun bitten Sie einerseits die Innovatoren anderen vom Projekt zu erzählen und kommunizieren auch im Blog etc. von den Erfolgen der agilen Teams. Sie werden merken, dass ohne viel Change-Aufwand nun weitere 13,5% (laut der Theorie) auch agil arbeiten wollen. Nun ist es auch notwendig aufgrund der höheren Mitarbeiteranzahl intensives Coaching zu betreiben und Prozesse im Unternehmen anzupassen. Diese Phase sollte einige Monate dauern. Sie müssen dort als Führungskraft durch Coaching, Vorbildfunktion und langen Atem die Einhaltung der agilen Prozesse und Verhaltensweisen fast wie ein Oberlehrer überwachen. In dieser Zeit sind die Augen der gesamten Organisation auf die agilen Teams gerichtet.
Ihr Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt zu 15% agil.
Phase 3: Frühe Mehrheit
Nun gilt es die frühe Mehrheit mitzunehmen. Diese lässt sich i.d.R. durch die Innovatoren beeinflussen. Sie müssen also Ihre Meinungsführer einerseits „bei Laune“ halten und andererseits in Gespräche mit der frühen Mehrheit gehen. So können Sie Stück für Stück – Mitarbeiter für Mitarbeiter gewinnen. Diese Prozess dauert einige Monate und Sie werden laut der Theorie weitere 34% für die neue agile Arbeitsweise gewinnen können. Diese Phase kann locker mehr als 1 Jahr dauern.
Ihr Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt zu 49% agil.
Phase 4: Späte Mehrheit
Nun ist knapp 50% Ihres Unternehmens weitgehend agil. Es gilt nun weitere Mitarbeiter gewinnen. Diese Phase sollte mindestens 1-2 Jahre dauern. Meine Erfahrung ist: Sie werden nicht alle 34% in dieser Phase für sich gewinnen, allerdings können Sie mithilfe von Gesprächen und agilen Coaches sicher die Hälfte, also ca. 17% gewinnen. Warum Sie nicht alle gewinnen, zeige ich in Phase 5.
Ihr Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt zu 66% agil.
Phase 5: Nachzügler und späte Mehrheit
Anders als bei Innovationen werden nicht alle agil arbeiten wollen. Speziell im Mittelstand werden diese, wenn Sie zu viel Druck aufbauen einfach kündigen. Wenn Fachkräfte einfach keine Lust auf Agilität haben, dann werden diese auch einen Arbeitgeber finden, welcher nicht agil arbeitet.
Aber keine Sorge: Es müssen auch nicht alle Bereiche agil und flexibel arbeiten. Schaffen Sie also Kunden und Teams, welche keine Agilität brauchen. Sicher gewinnen Sie noch ein paar % in dieser Phase aber viel wird sich nicht mehr bewegen. Der Kosten/Nutzen Aufwand ist für eine weitere Transformation hier einfach zu hoch.
Ihr Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt zu 68% agil.
Fazit: 4 Jahre agiler Transformation kurz zusammengefasst
In diesem Blogartikel habe ich 4 Jahre agiler Transformation sehr kurz zusammengefasst. Ich denke nicht, dass ein Unternehmen zu 100% agil sein muss und ich weis auch nicht, ob die % Werte auch so stimmen, jedoch wollte ich mich an der Theorie orientieren. Ich denke, dass ein Change nach 4 Jahren auf 50% – 60% Agilität ein absoluter Erfolg ist und für die aktuelle Zeit absolut ausreichend ist.
Genderhinweis: Seit Anfang 2022 achte ich darauf, dass ich immer genderneutrale Formulierungen verwende. Vor 2022 habe ich zur leichteren Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Sofern keine explizite Unterscheidung getroffen wird, sind daher stets sowohl Frauen, Diverse als auch Männer sowie Menschen jeder Herkunft und Nation gemeint. Lesen Sie mehr dazu.Rechtschreibung: Ich führe diesem Blog neben dem Job und schreibe viele Artikel in Bahn/Flugzeug oder nach Feierabend. Ich möchte meine Gedanken und Ansätze als Empfehlungen gerne teilen. Es befinden sich oftmals Tippfehler in den Artikeln und ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht alle korrigieren kann. Aber Sie können mir helfen: Sollten Sie Fehler finden, schreiben Sie mich gerne an! Lesen Sie mehr dazu.
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