Gäbe es Google, Meta, ChatGPT, Spotify ohne agile Prinzipien, Methoden und das Mindset der Agilität?
Wohl nicht. Ihre Existenz ist an Kollaboration, schnelle Lernzyklen und Fehlerkultur gebunden. Kurz: Adaptivität.
Trotzdem wird auf LinkedIn und anderen Medien ständig über das Ableben von Agilität spekuliert: „Ist Agilität tot?“
Schon?
„Warum ein agiles Transformation Office Ihre Eintrittskarte zu echtem und dauerhaftem Impact ist“, schrieb McKinsey in einem Blogbeitrag 2021. Dies gewährleiste „Anpassungsfähigkeit, Tempo und Effizienz“.
Ein agiles Transformation Office (ATO) „gestaltet und verwaltet den Wandel“, heißt es bei McKinsey. Die dort zu lesende Beschreibung ist eine fast exakte Kopie der Beschreibung eines Projekt Management Office (PMO).
ATO also = PMO.
Das ist ein Problem, denn das PMO organisierte das alte Projektmanagement nach dem Wasserfall-Prinzip. Hinzukommt, dass ein Büro, welches „die Gesamtstrategie festlegt“, „den Fortschritt verfolgt“ und „Mindeststandards festlegt“, dem Grundsatz der „selbstorganisierten Teams“ des agilen Manifests unmittelbar zuwiderläuft. Und dass hier „Individuen und Interaktionen vor Prozessen und Werkzeugen“ kommen, der erste Wert des agilen Manifests, darf ebenfalls bezweifelt werden.
Missverständnisse, die für Irritation im Zusammenhang mit Agilität sorgen und das Begräbnis des agilen Aufbruchs einleiten könnten.
ATOs und Agilität passen jedenfalls nicht zusammen
Dennoch haben die großen Autobauer und Banken in Deutschland 2024 agile Transformationsbüros. Dort wird jetzt Agilität verwaltet.
Die sogenannte agile Bewegung hat die Arbeitsweise von Technologieunternehmen revolutioniert und war eine wichtige treibende Kraft hinter den Erfolgen der derzeitigen Tech-Giganten. Doch rund zwei Jahrzehnte nach ihren Anfängen ist die Bewegung unter Druck.
- Weil die Umsetzung von Agilität kein Selbstläufer ist und daher nicht selten zum Irrläufer wird (siehe ATO) und somit zunehmend mit Frustrationen verbunden ist.
- Weil Agile und Agilität als Buzzwords mit Frustrationen von Punkt 1 aufgeladen werden.
- Und weil drittens der sich beschleunigende Wandel der Gegenwart, eine Sehnsucht nach der angeblichen Ruhe in der Vergangenheit erzeugt und damit die Restauration fördert, also Rückbesinnung auf angebliche Errungenschaften der Vergangenheit. Altes Management und Produktion nach Wasserfall gehören dazu.
- Weil mit der Einführung von Agilität ein Statusverlust alter Führung verbunden ist und die alte Führung dies aber nicht klaglos hinnimmt.
Die Punkte 1 bis 4 addieren sich zu dem Kampfschrei: „Agilität ist tot!“
Möglich, dass die Buzzwords Agile und Agility dieser Tage den Heldentod sterben. Doch wofür sie stehen, nämlich Adaptivität, sicher nicht.
Im Gegenteil: Wer sich nicht anpasst, geht unter. Adaptivität sichert Überleben. Schrieb Charles Darwin (Über die Entstehung der Arten) ins Grundbuch der Evolutionsbiologie.
Das Leben erfordert Adaptivität – und ist ohne Adaptivität nicht möglich
Angenommen, die großen Autobauer in Deutschland sind ganz eigene Arten – laufen sie Gefahr, von Tesla und BYD verdrängt zu werden?
Beweglichkeit und Anpassung sind hier gefordert. Doch der Wandel zu mehr Adaptivität ist für die großen Konzerne, geboren in der Zeit der noch funktionierenden, also nicht ausgetrockneten Wasserfälle, eine Riesenherausforderung. Dass die Lösung für diese Herausforderung in der Installation von agilen Transformationsbüros besteht, darf mit Vehemenz bezweifelt werden.
McKinsey hat es sicher nicht verdient, an dieser Stelle zum Sündenbock abgestempelt zu werden. Sein Missverständnis der agilen Konzepte ist womöglich nur ein Symptom für die Irritation im Zusammenhang mit dem Begriff Agilität. Nicht zuletzt, weil die agile Bewegung offensichtlich selbst mit dem Begriff hadert. Bereits 2015 verkündete Dave Thomas, einer der Begründer der Agilität, „Agile is Dead“.
Ein knappes Jahrzehnt später ist der Begriff Agilität mit verblassenden Erwartungen und nicht geringen Enttäuschungen aufgeladen. Ich erlaube mir die Behauptung, dass die Enttäuschungen vor allem auf Missverständnissen und Unkenntnis beruhen.
Das Agile Manifest gilt inzwischen als zivilisatorische Kardinalleistung. Kanban und ein Verständnis für Workflow und WIP-Limits haben sich als wertvoll für die Verbesserung von Arbeitsprozessen erwiesen. Scrum, als Idee, Methode und Framework ist so unverzichtbar wie revolutionär.
Industrie 1.0 konzentrierte sich auf nationale Märkte, funktionierte analog und löste simple bis komplizierte Herausforderungen. Industrie 3.0 ist global und weltweiter Konkurrenz ausgesetzt, (mindestens teilweise) digital und steht folglich vor komplexen Herausforderungen. Projektmanagement nach Wasserfall ist somit obsolet. Schnelle Lernkurven durch Iteration, kontinuierliche Verbesserung und konsequente Kundenorientierung sind unverzichtbar. Und damit auch Mindset und Methodenkoffer der Adaptivität. Wer sich eingehender damit befassen möchte, wird hier fündig: https://www.veraenderungskraft.de/agile-coach-ausbildung/
Genau: Agilität lebt.
Ihr
Otmar Jenner, Veraenderungskraft